Bis Mitternacht hat die größte Gewerkschaft, in der die US-amerikanischen Autowerker organisiert sind, mit den Verantwortlichen der "Big Three" verhandelt, um den auslaufenden Tarifvertrag zu verlängern. Zu einer Einigung sind die United Auto Workers (UAW) und die drei großen US-Autokonzerne General Motors, Ford und Stellantis allerdings nicht gekommen. Als Konsequenz haben die UAW-Mitglieder unter den Angestellten in drei Werken direkt die Arbeit niedergelegt. "Zum ersten Mal in unserer Geschichte bestreiken wir alle drei der 'Big Three' gleichzeitig", sagte UAW-Präsident Shawn Fain in der Nacht in einer Live-Ansprache in den sozialen Netzwerken.
Das größte in diesem ersten Schritt bestreikte US-Werk befindet sich in Toledo im US-Bundesstaat Ohio. Hier baut der Stellantis-Konzern, der aus dem Zusammenschluss von Fiat-Chrysler und PSA entstanden war, mit gut 5.500 Angestellten unter anderem die Jeep-Modelle Wrangler und Gladiator. Ebenfalls betroffen ist das GM-Werk Wentzville Assembly in Missouri, wo über 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Chevrolet-Baureihen Colorado und Express sowie deren GMC-Schwestermodelle Canyon und Savana fertigen. Hinzu kommt die in der Stadt Wayne gelegene Michigan Assembly Plant von Ford, wo derzeit der Ranger und der Bronco gebaut werden. Hier sind etwa 3.500 Menschen beschäftigt.
36 Prozent gefordert, 20 Prozent geboten
Aktuell liegen die Forderungen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite noch weit auseinander. Die Gewerkschaft forderte zuerst eine Lohnerhöhung von 40 Prozent verteilt über vier Jahre, da die Einkommen des Top-Managements zuletzt in dieser Größenordnung gewachsen seien. Inzwischen hat die UAW ihre Forderung auf 36 Prozent über denselben Zeitraum reduziert. Außerdem sollen diverse Sozialleistungen wiedereingeführt werden, die im Zuge der Finanzkrise nach 2008 abgebaut wurden.
Die Autokonzerne bieten bisher jedoch nur 20 (General Motors und Ford) beziehungsweise 17,5 Prozent (Stellantis) mehr Geld für ihre Arbeiter. Ford-Konzernchef Jim Farley sagte beim US-Nachrichtensender CNBC, dass sein Unternehmen die Forderungen der Gewerkschaft nicht zahlen könne, ohne dabei bankrottzugehen. Die UAW konterte diese Aussage auf der Kurznachrichtenplattform X (zuvor Twitter) mit der Aussage, dass Farley im vergangenen Jahr 21 Millionen Dollar (aktuell umgerechnet mehr als 19,6 Millionen Euro) verdient habe.
US-Regierung will kleinen Zulieferern helfen
Medienberichten zufolge ist die Streikkasse der UAW gut gefüllt; im entsprechenden Fonds sollen 825 Millionen Dollar (mehr als 771 Millionen Euro) liegen. Laut Schätzungen der Deutschen Bank, die der "Spiegel" zitiert, würde jede Woche Produktionsausfall die Gewinne jedes betroffenen Automobilherstellers um 400 bis 500 Millionen Dollar (374 bis 467 Millionen Euro) reduzieren. Weil vor allem kleinere, von ihren Großkunden abhängige Zulieferer, die Zeit des Streiks nicht überstehen könnten, soll die US-Regierung der "Washington Post" zufolge derzeit ein Rettungspaket schnüren, mit dem insbesondere diesen Firmen geholfen werden soll.
Es ist der erste große Streik in den US-Automobilwerken seit 2019. Damals konnte sich die insgesamt etwa 150.000 Mitglieder starke und in der Autostadt Detroit ansässige UAW mit General Motors nicht schnell genug auf einen neuen Tarifvertrag einigen. Die Folge war ein 40 Tage andauernder Streik in mehreren Werken des US-Autokonzerns. Auch diesmal dürfte sich der Streik ausweiten. "Wenn wir auf's Ganze gehen müssen, werden wir das tun", sagt Fain.
Keine Gewerkschaft bei Tesla, VW, BMW und Mercedes
Der aktuelle UAW-Präsident wurde erst Ende März 2023 in sein Amt gewählt. Shawn Fain ist Vorsitzender einer Gewerkschaft, deren Ruf in der Vergangenheit immer wieder gelitten hatte. Unter anderen aufgrund eines Korruptionsskandals im Jahr 2019, der den damaligen UAW-Präsidenten Gary Jones zu Fall und sogar ins Gefängnis brachte.
Längst nicht alle US-Autowerker sind gewerkschaftlich organisiert. Vor allem in den Fabriken in den Südstaaten, wo sich beispielsweise die deutschen Hersteller wie VW, BMW und Mercedes niedergelassen haben, fallen Abstimmungen über einen Beitritt der Beleg- in die Gewerkschaft immer wieder negativ aus. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Tesla-Werken sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Vor allem Tesla-Chef Elon Musk sorgt mit Aktionen bis hin zu unverhohlenen Drohungen dafür, dass seine Angestellten nicht in die Gewerkschaften eintreten.
Hinweis: Im Video und in der Fotoshow informieren wir Sie über die Produktion des Ford F-150 Lightning im River Rouge Complex in Dearborn im US-Bundesstaat Michigan.
Fazit
Der UAW-Streik hatte sich über die vergangenen Wochen angedeutet; zu groß waren die Unterschiede zwischen den Forderungen der Arbeitnehmer- und den Angeboten der Arbeitgeberseite. Nun stellt sich die Frage, wie stark der Streik ausgeweitet wird und wie lange es dauert, bis beide Parteien eine Einigung erzielen. Die Big Three stehen durchaus unter Druck und dürften längere Verdienstausfälle unbedingt vermeiden wollen, nachdem es nach der schwierigen Corona-Zeit endlich wieder aufwärtsging. Zumal Tesla und einige ausländische Hersteller, die in den USA gewerkschaftsfreie Fabriken betreiben, bereits parat stehen, um aus der Situation Kapital zu schlagen und den bestreikten Unternehmen Marktanteile abspenstig zu machen – darunter einige deutsche Marken.