Es ist ein ärgerliches Dauerthema in der Formel 1. Wie im Fußball wird im Fahrerlager regelmäßig über die Entscheidungen der Schiedsrichter diskutiert. Zuletzt hatte es einige Urteile gegeben, die bei der Mehrzahl der Fahrer für Unverständnis sorgten. So konnten die meisten Piloten zum Beispiel die Strafe für Oscar Piastri in Brasilien nicht nachvollziehen. Der Australier war bei einem Angriff am Ende der Zielgeraden mit Kimi Antonelli kollidiert.
Wenn man nur die offiziellen Zweikampf-Richtlinien zur Bewertung der Szene heranzieht, ließ sich die 10-Sekunden-Strafe durchaus rechtfertigen. Doch die Mehrheit der Piloten kritisierte, dass die Regeln in diesem Fall nicht strikt hätten angewendet werden dürfen. Bei dem Angriff von Piastri blieb zwar das linke Vorderrad des McLaren stehen, der Australier hatte aber nie die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren.
Am Donnerstag (27.11.) kamen die 20 Piloten in Katar zu einem Meeting zusammen, um darüber zu diskutieren, ob man das System bei der Beurteilung solcher Szenen für die Zukunft verbessern kann. Die Frage lautet, ob es ausreicht, die Richtlinien an manchen Stellen nachzubessern, oder ob man gleich die gesamte Herangehensweise ändern sollte.

Die Strafe gegen Oscar Piastri sorgte bei vielen Fahrern für Unverständnis.
Sind permanente Stewards die Lösung?
George Russell machte seine Meinung schon vor dem Zusammentreffen klar: "Wenn wir jetzt nur die Richtlinien anpassen, könnte es passieren, dass wir uns nächstes Jahr in der gleichen Situation befinden, wenn es einen anderen Zwischenfall gibt, der nur nach den Richtlinien und nicht nach Racing-Fachkenntnis entschieden wird."
Der Brite ist einer der Vorsitzenden der Fahrervereinigung (GPDA). Sein Wort hat Gewicht. Russell machte sich wie schon in der Vergangenheit für die Einführung von Profischiedsrichtern stark. "Die meisten Fahrer glauben, dass es mit permanenten Stewards einen Fortschritt gibt. Wenn man als Fahrer lernt, wie sie ticken, dann kann man daraus eine gewisse Konstanz für den nächsten Zwischenfall ableiten."
Ein Argument, das immer wieder gegen die permanenten FIA-Kommissare hervorgebracht wird, ist die Gefahr von fehlender Unparteilichkeit. Hat einer der Schiedsrichter einen Fahrer dauerhaft auf dem Kieker, wäre das natürlich ein Problem für den betreffenden Piloten. Auch hierzu hat Russell eine klare Meinung: "Wenn man regelmäßig bei den Stewards vorsprechen muss, dann sollte man als Fahrer auch mal selbst in den Spiegel schauen."
Richtlinien lösen keine Probleme
Für Russell ist es wichtig, dass man sich als Fahrer auf die Entscheidungen einstellen und seinen Fahrstil entsprechend anpassen kann: "In diesem Sport kommt es sehr auf die Interpretation an und verschiedene Menschen interpretieren Situationen unterschiedlich." Es könne nicht sein, dass man Freiwilligen diese wichtige Rolle überlässt. Der Mercedes-Pilot wünschte sich für einen Milliardensport wie die Formel 1 echte Profis, die auch entsprechend für ihren Job bezahlt werden.
Carlos Sainz ist ebenfalls Vorstandsmitglied der GPDA und gilt ebenfalls als Verfechter für eine Dauerlösung im Büro der Stewards. Im Vorfeld des Katar-Meetings hoffte der Spanier, dass sich die Fahrer auf einen gemeinsamen Nenner einigen können. "Wir müssen uns zusammensetzen und in Ruhe über verschiedene Zwischenfälle sprechen, bei denen es geteilte Meinungen gab. Sie haben für etwas Verwirrung gesorgt. Ich hoffe, dass wir für die Zukunft bessere Lösungen finden."
Zwischen den Zeilen sprach sich auch der Williams-Pilot für eine Abschaffung der Zweikampf-Richtlinien aus: "Wenn ich für mich persönlich spreche, dann denke ich, dass es noch Spielraum für Verbesserungen gibt. Einige der Richtlinien haben zu mehr Problemen als Lösungen geführt. Es gibt kaum noch normale Rennunfälle. Es gibt nur noch Schwarz und Weiß, wenn man die Richtlinien strikt anwendet. Darüber müssen wir diskutieren."

Karun Chandhok (Bild) und Anthony Davidson arbeiten für den TV-Sender Sky F1. Jolyon Palmer analysiert für den YouTube-Kanal der Formel 1.
Neue Generation an Schiedsrichtern
Sainz schlägt vor, die Entscheidungen lieber komplett in die Hände der Stewards zu legen. Allerdings ließ die Kompetenz der Kommissare in der Vergangenheit immer mal wieder zu wünschen übrig. Der Madrilene würde sich deshalb freuen, wenn man eine neue Generation Schiedsrichter ans Ruder lassen würde. Dabei erwähnte er konkret die Arbeit von drei Ex-Fahrern, die jetzt als TV-Experten arbeiten.
"Ich habe im Nachgang von einigen Zwischenfällen die Analysen von Karun Chandhok, Jolyon Palmer und Anthony Davidson gesehen. Diese Fahrer, die noch nicht so lange draußen sind, kommen in den meisten Fällen zu den korrekten Ergebnissen, wenn es um die Frage geht, wer schuld war oder ob vielleicht keiner der Fahrer schuld war. Sie analysieren die Szenen auf einem sehr hohen Level", lobte Sainz.
Das mache ihm Hoffnung, dass es zukünftig auch ohne die Richtlinien gehen könnte: "Meine ideale Lösung wäre es, auf die Richtlinien ganz zu verzichten und stattdessen Leuten die Entscheidung zu überlassen, die in der Lage sind, solche Situationen zu beurteilen – dazu zähle ich zum Beispiel die drei genannten Ex-Fahrer. Sie sprechen die richtige Sprache bei ihrer Art, etwas zu erklären. Sie haben den richtigen Hintergrund, um diese Analysen durchzuführen. Wenn ich ihnen zuhöre, habe ich das Gefühl, dass sie verstehen, was in den Zwischenfällen wirklich passiert ist. Das heißt natürlich nicht, dass man immer einer Meinung ist. Aber es sollte die Trefferquote erhöhen."
Um die älteren Fahrerkommissare nicht vor den Kopf zu stoßen, schränkte Sainz seinen Vorstoß dann aber noch etwas ein: "Ich muss natürlich aufpassen, was ich hier sage. Es gibt natürlich auch unter der älteren Generation der Fahrerkommissare einige, die einen guten Job erledigen. Ich möchte da jetzt keine Namen nennen. Ich wollte eigentlich nur erwähnen, dass die jungen Ex-Fahrer in ihren Analysen viel Sinnvolles sagen. Ich bin mir sicher, dass sie keine Richtlinien brauchen. Sie würden einfach ehrlich und korrekt ihre Schlussfolgerungen ziehen."












