29 Überholmanöver gab es in Austin: Das hört sich auf den ersten Blick gar nicht so schlecht an. Aber nur sieben davon fanden in den Top Ten statt. Da waren mit Ausnahme von Charles Leclerc alle mit identischer Reifenfolge und ähnlichem Boxenstopp-Timing unterwegs. Medium-Soft war die Taktik der Sieger. Die Boxenstopps fanden zwischen den Runden 29 und 33 statt.
Einziger Ausreißer war Charles Leclerc. Der Ferrari-Pilot startete auf Soft-Reifen, wechselte früh in der 22. Runde auf Medium-Gummis und war in den Phasen schnell, in denen die anderen langsam waren und umgekehrt. So gab es in den Top Ten über die 56 Runden praktisch nur einen Zweikampf: Charles Leclerc gegen Lando Norris. Der Rest war in Solo-Fahrt unterwegs. Verstappen, Hamilton, Piastri, Russell und Alonso waren das ganze Rennen über auf ihren Plätzen festbetoniert.
George Russell hatte es nach den Erfahrungen im Sprint kommen sehen. "Es ist nur noch ein Rennen bis zur ersten Kurve. Mir war schon vorher klar, dass ich auf dem Platz ins Ziel fahren werde, auf dem ich nach dem Start liege. Leider habe ich in der ersten Kurve zwei Positionen verloren." So wurde der Singapur-Sieger nur Sechster. 3,7 Sekunden hinter Oscar Piastri und 19,2 Sekunden vor Yuki Tsunoda.
Noch nie so krasse Turbulenzen
Mercedes-Teamchef Toto Wolff verstieg sich zu der Aussage: "Wäre George nach dem Start vorne gelegen, hätte er das Rennen gewonnen. Die sechs Fahrer vorne hatten nahezu den gleichen Speed." Das Russell 33 Sekunden hinter Sieger Max Verstappen ins Ziel kam, verzerrt das Bild. Verstappen konnte an der Spitze in freier Luft sein Tempo fahren, ohne die Reifen zu überfordern. Alle anderen waren in Turbulenzen gefangen.
Die Fahrer berichteten übereinstimmend, dass sie noch nie so krass den Einfluss von verwirbelter Luft gespürt haben wie in diesem Jahr. Dabei ist der Circuit of the Americas eine offene Rennstrecke und kein Betonkanal, in dem die Turbulenzen hängenbleiben. Doch in Sektor 1 gibt es eine Serie schneller Kurven, in denen der Unterboden optimale Anströmung bracht, um den maximalen Abtrieb zu generieren
Es machte im Feld keinen Sinn, die Lücke zum Vordermann zu schließen, weil das nur dazu führte, dass die Reifen überhitzen. Speziell davon betroffen war die weiche C4-Mischung, die für fast alle im zweiten Stint unerwarteterweise zur besten Option wurde. "Wenn du näher als zwei Sekunden aufgeschlossen hast, sind die Autos nur noch gerutscht, und die Reifentemperatur ging nach oben", berichtete Wolff.

Lando Norris hätte sich trotz deutlich besserer Pace beinahe die Zähne an Charles Leclerc ausgebissen.
Zweiter Anlauf erst nach Abkühlrunden
Wer nicht beim ersten Überholversuch Erfolg hatte, musste die Attacke abblasen, zwei bis drei Abkühlrunden einlegen und es noch einmal probieren. Lando Norris konnte nur so lange hinter Leclerc herfahren, weil er deutlich schneller war. Nach dem ersten Überholmanöver in der 21. Runde nahm er dem Ferrari-Pilot auf dessen ausgelutschten Soft-Reifen 1,6 Sekunden ab.
Beim zweiten Mal brauchte Norris zwei Anläufe. In der 40. Runde lag er im DRS-Bereich des Ferrari. Weil der Angriff keinen Erfolg hatte, ließ er sich bis zur 45. Runde um 2,8 Sekunden zurückfallen. Nur drei Runden später hatte er die Lücke wieder geschlossen. Als er dann endlich den Ferrari hinter sich gelassen hatte, nahm er Leclerc im Schnitt 1,3 Sekunden pro Runde ab.
Im Rest der Top Ten gab es diese Unterschiede nicht. Deshalb entschieden die Fahrer, Abstand zu halten, um sich die Reifen nicht zu ruinieren und das geplante Einstopp-Rennen nicht zu gefährden. Hin und wieder startete einer eine Aufholjagd, doch kaum kam er in den kritischen Bereich, musste er zurückstecken. So ging es vielen Fahrern in den Punkterängen. Nico Hülkenberg kam Yuki Tsunoda nicht entscheidend näher, Oliver Bearman biss sich an Hülkenberg die Zähne aus, Fernando Alonso an Bearman und Liam Lawson an Alonso.
Nichtangriffspakt auf den vorderen Plätzen
Nehmen wir eine Momentaufnahme aus der Mitte des Rennens, die das ganze Dilemma aufzeigt. In der 28. Runde führte Verstappen 10,4 Sekunden vor Norris. Der hatte 6,6 Sekunden Vorsprung auf Hamilton. Zwischen Hamilton und Piastri lag eine Lücke von 4,4 Sekunden. Der WM-Spitzenreiter hielt Russell mit 1,5 Sekunden auf Distanz. Hinter dem Mercedes kam 7,8 Sekunden lang nichts, dann Tsunoda und Leclerc, der sich mit dem Vorteil frischer Medium-Reifen wieder nach vorne kämpfte
Daraus entstand quasi ein unausgesprochener Nichtangriffspakt. Der Vergleich der schnellsten Rennrunden zeigt, dass mit Ausnahme von Norris keiner viel schneller fahren konnte. Auch wer freie Fahrt genoss, war auf Reifenmanagement bedacht. Keiner hatte Erfahrung damit, wie lange der Soft-Reifen hält, wenn man ihn über eine längere Distanz fordert.
Verstappens schnellste Runde mit 1.37,991 Minuten kurz nach dem Boxenstopp war nur um 0,233 Sekunden schneller als Russells Bestwert in exakt der gleichen Runde. Das hätte dem Mercedes-Fahrer zum Verteidigen seines Platzes gereicht.












