Immer mehr tote Winkel: Autos nach vorn so unübersichtlich wie nie

IIHS-Studie zur Rundumsicht in Autos
Tote Winkel nach vorne werden immer größer

ArtikeldatumVeröffentlicht am 30.06.2025
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Die vorderen toten Winkel von fünf in den USA sehr erfolgreichen Pkw-Modellen haben sich in den letzten 25 Jahren erheblich vergrößert. Das ist ein Ergebnis einer neuen Studie des "Insurance Institute for Highway Safety" (IIHS) und des Volpe Centers des US-Verkehrsministeriums. Demnach hat sich die Rundumsicht nach vorn bei den in Nordamerika populären Modellen Chevrolet Suburban, Ford F-150, Honda Accord, Honda CR-V und Toyota Camry ausnahmslos verschlechtert – und das teils drastisch.

Neue Messmethode mit Kamera und Software

Damit bestätigt sich das, was auch Autofahrerinnen und Autofahrer in Europa wahrnehmen, zumal vier der Modelle – die Japaner und der Jeep – auch in unseren Breiten angeboten werden oder wurden: Moderne Autos werden nach vorn immer unübersichtlicher. Um diese oft gefühlte Wahrheit mit objektiven Zahlen zu belegen, haben die IIHS, bei der es sich um eine unabhängige und gemeinnützige Wissenschafts- und Bildungsorganisation handelt, und die Forscher des US-Verkehrsministeriums eine neue Messmethode angewendet.

Der Versuchsaufbau besteht aus einer tragbaren 360-Grad-Kamera, die in der Höhe verstellt werden kann, um unterschiedlich große Fahrerinnen und Fahrer zu simulieren. Die von ihr gefilmten Bilder werden daraufhin von einer Software in ein Kartenbild umgewandelt, das den toten Winkel visualisiert, indem sie eine Luftaufnahme des Fahrzeugs und die nächstgelegenen Punkte auf dem Boden zeigt, die vom Fahrerplatz aus gesehen werden können – oder auch nicht. Außerdem wird ein numerischer Wert für den prozentualen Anteil des um das Fahrzeug herum sichtbaren Bereichs angegeben.

Besonders schlecht: der Honda CR-V

Für diesen Test konzentrierten sich die IIHS- und Volpe-Forscher auf die 180-Grad-Sicht nach vorn in einem Radius von zehn Metern um das Fahrzeug und setzten sich in die fünf erwähnten Fahrzeuge. Und zwar nicht nur in die aktuellen Generationen, sondern auch deutlich ältere, rund um die Jahrtausendwende gebaute Exemplare, um nachvollziehen zu können, wie sich die Rundumsicht nach vorn in diesem Zeitraum verschlechtert hat. Besonders schlecht schnitt dabei der Honda CR-V ab. Im aktuellen Modell sind nur 28 Prozent des Zehn-Meter-Bereichs vor dem Auto sichtbar; beim Urahn vom Ende des letzten Jahrtausends waren es satte 68 Prozent.

Genauso schlecht schneidet der Chevrolet Suburban des Modelljahres 2023 ab. Da beim alten Modell des 2000er-Jahrgangs nur 56 Prozent Sichtbarkeit vorhanden war, ist bei ihm der Verlust nicht ganz so groß wie beim Honda. Beim Ford F-150, dem mit Abstand meistverkauften Pritschenwagen im Pick-up-Land USA, beträgt der Sichtbarkeitsverlust lediglich sieben Prozent. Er kommt heute auf wahrlich nicht berauschende 36 Prozent, während der Wert bei einem F-150 von 1997 einen für damalige Verhältnisse schlechten Wert von 43 Prozent betrug.

Limousinen mit geringem Sichtbarkeitsverlust

Deutlich besser schneiden die getesteten Limousinen ab. Beispiel Honda Accord: Sind bei einem 2003er-Modell 65 Prozent des Zehn-Meter-Bereichs vor dem Auto sichtbar gewesen, so waren es beim 2023er-Pendant immerhin 60 Prozent. Beim Toyota Camry verringerte sich der Wert im Vergleich der Modelljahre 2007 bis 2023 von 61 auf 57 Prozent.

"Wenn weitere Untersuchungen bestätigen, dass diese Veränderungen einen allgemeinen Wandel widerspiegeln, würde das darauf hindeuten, dass die abnehmende Sichtbarkeit bei SUVs die bereits vom IIHS dokumentierten Auswirkungen größerer Fahrzeuge mit höherer Front noch verstärkt hat", sagt Becky Mueller, Versuchsingenieurin beim IIHS. Denn interessanterweise schränken nicht in erster Linie immer breitere A-Säulen die Sicht nach vorn ein. Es sind eher höhere Stirnflächen im Zusammenspiel mit Höhe und Winkel der Motorhaube sowie die Größe der Außenspiegel, die das Problem verschärfen.

Beunruhigende Unfallzahlen in den USA

Wie relevant das Thema Rundumsicht in Autos ist, zeigen Unfallstatistiken aus den USA. Dort steigen nämlich die Todeszahlen von Fußgängern seit mehreren Jahrzehnten tendenziell an. 2022 wurde mit 7.522 getöteten Verkehrsteilnehmern, die zu Fuß unterwegs waren, ein neuer Höchstwert seit 1981 erreicht, während der bisherige Tiefstwert von 4.109 getöteten Fußgängern bereits 2009 ermittelt wurde. Oder anders ausgedrückt: 2022 starb in den Vereinigten Staaten alle 70 Minuten ein Fußgänger im Straßenverkehr.

Zwar sank die Zahl getöteter Fußgänger im US-Verkehr 2023 wieder leicht auf 7.318, doch die Zahl ist immer noch besorgniserregend hoch und der generelle Negativtrend hält an. Das hat natürlich mehrere Gründe, etwa überhöhte Geschwindigkeit, die Nutzung des Handys seitens der Autofahrer und Fußgänger oder anderweitiges Fehlverhalten. Doch Verkehrsexperten sehen in den immer größeren und unübersichtlicheren Autos einen eindeutigen Risikofaktor, der nun durch die IIHS-Studie untermauert wurde. Folgerichtig möchte das Institut nun 150 Automodelle nach der neuen Methodik untersuchen. Dann ergibt sich ein noch umfassenderes Bild, wie sehr sich die Übersichtlichkeit nach vorn insgesamt verschlechtert hat.

Fazit