Max Verstappen hatte den Titel in diesem Jahr schon mehrmals abgeschrieben. Nach der Pleite in Ungarn war der Rückstand auf 97 Punkte angewachsen. Mehr noch als der große Rückstand sorgte die schwache Pace seines Autos für gedrückte Stimmung beim Weltmeister. Nach der Sommerpause gab es beim Heimspiel in Zandvoort gleich die nächste Niederlage. Verstappen war zwar näher dran, der Rückstand auf Oscar Piastri vergrößerte sich aber auf satte 104 Zähler.
Damals hätte wohl keiner mehr einen Euro auf ein Comeback des Red-Bull-Piloten gesetzt. Doch dann startete der Champion die große Aufholjagd. Monza, Baku, Singapur und Austin brachten den 28-Jährigen immer näher an die Spitze. Der Rückstand wurde mit großen Schritten eingedampft. Fünf Rennen vor Schluss beträgt die Lücke zu Piastri aktuell nur noch 40 Zähler. Wenn sich der Trend in gleichem Maße fortsetzt, sind die Chancen gut, dass es in Abu Dhabi doch noch mit der Titelverteidigung klappt.
In der Formel-1-Historie hat es schon viele größere Aufholjagden gegeben. Doch mehr als 100 Punkte Rückstand konnte noch kein Pilot wettmachen. Solch ein Umschwung galt in der modernen Grand-Prix-Welt eigentlich als unmöglich. Wenn ein Auto erst einmal einen großen Vorsprung hat, dann wird dieser normalerweise auch bis zum Ende des Jahres verteidigt. Die Verfolger schieben die begrenzten Ressourcen lieber auf die kommende Saison, wenn mit dem aktuellen Auto nichts mehr zu gewinnen ist.

Bei seinem Titelgewinn 1976 profitierte James Hunt auch von einem schweren Unfall seines Gegners Niki Lauda am Nürburgring.
Hunt ringt Lauda nieder
Doch Red Bull wagte noch einmal einen letzten Angriff und bestückte den RB21 nach der Sommerpause mit neuen Teilen. Das Unterboden-Upgrade in Monza und eine Reihe neuer Frontflügel brachten schließlich die Wende. Dass die Maßnahmen so gut funktionieren, hätten aber wohl weder die Ingenieure noch Verstappen selbst geglaubt. Sollte er die begonnene Aufholjagd wirklich erfolgreich abschließen, wäre ihm ein Eintrag in die Geschichtsbücher sicher. Etwas Vergleichbares sucht man beim Blick in die Formel-1-Vergangenheit vergeblich.
Allerdings muss man beim historischen Vergleich immer auch die unterschiedlichen Punktesysteme und die geringere Anzahl an Rennen pro Saison einberechnen. Als James Hunt zum Beispiel in der Saison 1976 nach den ersten neun von 16 Rennen schon 23 Punkte Rückstand auf Niki Lauda angehäuft hatte, schien der Titelgewinn am Ende der Saison ebenso unwahrscheinlich wie jetzt bei Verstappen. Damals gab es für einen Rennsieger nur neun WM-Zähler. Der Feuercrash am Nürburgring und ein freiwilliger Rückzug beim Regenfinale von Lauda ließen das Pendel am Ende dan aber doch noch in Richtung Hunt ausschlagen.

Kimi Räikkönen holte 2007 den letzten Fahrertitel mit Ferrari. Zwei Rennen vor Schluss hatte darauf sicher keiner mehr gewettet.
Räikkönen-Endspurt gegen McLaren
Eine der dramatischsten Aufholjagden, die wohl vielen Fans noch gut in Erinnerung ist, schaffte Kimi Räikkönen in der Saison 2007. Hier war es nicht die Höhe des Rückstands, sondern die Zahl der verbleibenden Rennen, die das Unterfangen praktisch unmöglich machte. 17 Punkte lag der Iceman hinter Lewis Hamilton zurück – bei nur noch zwei Grand-Prix-Wochenenden, an denen ein Fahrer maximal 20 Punkte sammeln konnte. Doch während bei der McLaren-Konkurrenz alles schief lief, gewann der Finne beide Rennen und krönte sich mit einem Punkt Vorsprung zum Champion.
Auch Sebastian Vettel war ein Fahrer, der im WM-Kampf niemals aufgab, solange rechnerisch noch etwas möglich war. In der Saison 2012 hatte Fernando Alonso seinen deutschen Gegner zur Saisonmitte schon um 44 Punkte distanziert. Sieben Rennen vor Schluss betrug der Rückstand immer noch 39 Zähler. Doch dann gewann Vettel vier Rennen in Folge. In einem dramatischen Finale in São Paulo setzte sich der Heppenheimer schließlich mit drei Zählern Vorsprung durch und feierte seinen dritten von vier Titeln.
Dass eine starke Aufholjagd nicht immer vom Erfolg gekrönt ist, musste Hamilton 2016 erfahren. Der Rekordsieger gewann im Meister-Duell mit Nico Rosberg die letzten vier Rennen des Jahres. Trotzdem fehlten am Ende fünf WM-Punkte auf den Teamkollegen. Hamilton hätte im internen Zweikampf etwas Unterstützung von der Konkurrenz gebraucht. Doch Red Bull und Ferrari konnten im Endspurt nicht mehr in den Kampf um die vorderen Plätze eingreifen. Rosberg konnte nach vier zweiten Plätzen in Folge den Titel feiern.












