Am ersten Trainingstag wurde Mercedes seiner Favoritenrolle gerecht. Der Vorjahressieger machte von allen Topteams den stabilsten Eindruck auf dem 6,201 Kilometer langen Las Vegas Strip Circuit. George Russell und Andrea Kimi Antonelli zählten zum erweiterten Kandidatenkreis für die erste Startreihe. Doch dann herrschte am Freitag Land unter in der Spielerstadt.
Über Las Vegas ging in der Woche des Grand Prix die Hälfte der durchschnittlichen Regenmenge eines Jahres nieder. Die Regenpausen dazwischen reichten bei Temperaturen von zwölf Grad und hoher Luftfeuchtigkeit nicht aus, die Strecke schnell trocken zu föhnen. So erlebten die Zuschauer Las Vegas mal von einer ungewohnten Seite. Und die Fahrer auch.
Alles, was am Donnerstag noch galt, hatte im Regen keine Bedeutung mehr. Im Q1 und Q2 rückten die Fahrer sogar mit den Schlechtwetter-Reifen von Pirelli aus. Die kommen sonst alle Jubeljahre zum Einsatz. Plötzlich war nicht mehr der Aufwärmprozess das große Thema, sondern von Anfang bis Ende Tempo zu bolzen, dabei auf freie Fahrt zu hoffen und nicht von gelben Flaggen eingebremst zu werden.
Auf den Intermediates fehlte die Leichtigkeit
Genau so eine gelbe Flagge warf Antonelli schon in der ersten K.O.-Runde aus dem Kampf. Das Timing war unglücklich, hieß es bei Mercedes. Ausgerechnet in der letzten Q1-Runde, in der der Zweite des GP Brasilien auf einem guten Weg war, seine Zeit zu verbessern, rutschte einer seiner Kollegen in einen Notausgang. "Dazu habe ich mich noch verbremst", ärgerte sich der Italiener. Die FIA zeigte sich gnädig. In einem solchen Fall reichte es, den Gasfuß kurz zu heben. Drei Zehntel Zeitverlust wurden toleriert. Bei vielen reichte es trotzdem noch zu einer schnelleren Runde, weil die Strecke mit jeder Runde schneller wurde. Antonelli aber fehlten drei Zehntel auf den rettenden 15. Platz.
George Russell kam mit den nassen Bedingungen bestens zurecht. Der Engländer markierte im Q1 und Q2 jeweils Bestzeit. Im Gegensatz zum Teamkollegen konnte er im letzten Anlauf immer frei fahren. Doch mit dem Wechsel auf Intermediates im letzten Segment der Qualifikation war plötzlich die Leichtigkeit verschwunden. Russell pendelte ständig zwischen Platz sieben und zehn.
Erst ein Gewaltakt ganz zum Schluss brachte ihm die viertschnellste Zeit. Der zweifache Saisonsieger klagte über ein komisches Gefühl mit der Lenkung. Die Daten ließen aber zunächst kein Problem erkennen. Erst später stellte sich heraus, dass ausgerechnet mitten im Q3 ein Schaden an der Servolenkung auftrat. "Sonst hätte ich es sicher in die erste Startreihe geschafft", meinte Russell. In Sektor 1 und 3 war Russell jeweils Zweitschnellster. Dafür verlor er im Mittelabschnitt vier Zehntel. Hauptsächlich in seiner Problemkurve 12 am Eingang zum Strip.
Mit dem vierten Platz konnte der WM-Vierte leben, weniger mit dem Rückstand von fast einer Sekunde. Da hätte er sicher gerne die Worte von McLaren-Teamchef Andrea Stella gehört: "Auf einer trockenen Strecke hätten wir mehr um die Pole-Position kämpfen müssen. Der Vorsprung wäre sicher kleiner ausgefallen."
Wer hat das Körnen am besten im Griff?
Dann war noch einmal Zittern angesagt. Die Sportkommissare zitierten die Mercedes-Ingenieure in ihr Büro, weil angeblich das Papier mit den Fahrzeugeinstellungen nicht rechtzeitig bei Technikkommissar Jo Bauer eingetroffen war. So ein Versäumnis kann schlimmstenfalls mit Wertungsausschluss geahndet werden. Mercedes konnte jedoch anhand von E-Mails beweisen, dass sie die entsprechenden Papiere abgeschickt hatten, diese aber wegen eines Sicherheitschecks im IT-System der FIA hängenblieben.
Trotz der Startplätze vier und 17 glaubt man im Lager der Silberpfeile immer noch an eine Siegchance. Ganz so einfach wie im letzten Jahr wird es diesmal nicht werden. Da startete Russell von der Pole-Position. Doch Lewis Hamilton bewies als Zehnter der Startaufstellung, dass man bei diesem Rennen auch noch von hinten noch Zweiter werden kann. Wenn es trocken bleibt.
Und es soll im Rennen trocken sein. Dann wird sich alles um in ganz anderes Problem drehen. Wie verhindere ich, dass die Reifen körnen, speziell der rechte Vorderreifen? Wer den Medium-Reifen so lange wie möglich konservieren kann, ist am Ende bei der Verteilung der Pokale dabei. Die harte Gummimischung scheint gegen das Problem immun zu sein. Deshalb haben alle Top-Fahrer zwei Garnituren Hart in der Hinterhand.
Im letzten Jahr löste Mercedes das Abschälen der obersten Gummischicht besser als jeder andere. Diesmal hat Mercedes mit seinem Longrun am Ende des ersten Trainings von allen Teams die größte Erfahrung, wie viel man den weicheren Reifenmischungen zumuten kann, ohne, dass sie gleich körnen. 2024 profitierte Russell vom Luxus der freien Fahrt an der Spitze. Diesmal muss er sich erst an Norris, Verstappen und Sainz vorbeikämpfen.












