Corvette E-Ray im Test: Hybrid-Punch mit V8-Sauger

Chevrolet Corvette E-Ray
Corvette mit Hybrid-Allrad und 643 PS im Test

Veröffentlicht am 04.05.2025

Elektrische Zusätze wirken bisweilen ja doch sehr unterschiedlich auf den Markenstil ein. Für manche Hersteller sind sie schlicht eine Offenbarung. Nehmen Sie Rolls-Royce, die nun gut 100 Jahre damit verbracht haben, Wege zu finden, Antriebsgeräusche von den Insassen fernzuhalten. Mit den Elektromotoren gibt’s dieses hehre Ziel nun quasi zum Sofortkauf vom Zulieferer.

Für andere wiederum wäre der Verlust des Herzrhythmus nicht weniger als ein Dolchstoß in ihre Identität. Oder ganz konkret: Ein US-Sportwagen, der mit den Klängen eines Treppenlifts durch die Gegend wimmert, rauscht mit Lichthupe und Blinker links über den Highway to Hell.

Tatsächlich lässt die Corvette dieses Horrorszenario nun Wahrheit werden. Denn ja, wenn man das Startprozedere über den Drehschalter auf der Mittelkonsole initiiert, kann sich die E-Ray elektrisch fortbewegen. Aber: Der Spuk hält gerade mal fünf Kilometer und bis maximal 72 km/h an, ist letztlich also ein vorübergehender Elektro-Schock.

Sowie: kein Muss. Startet man den rapidblauen Apparat nämlich ganz konventionell per Druck auf den Starttaster, ist die Welt – zack-brumm – zurück in ihren Fugen. Auf einmal braucht es kein "Ready"-Lämpchen mehr, um die Betriebsbereitschaft des Antriebs zu signalisieren. Nein, diese Botschaft wird dann ganz unmissverständlich durch den 6,2-Liter-Sauger überbracht, der den Swing seiner Zentralnockenwelle wie seit jeher als leichtes Erdbeben ins Auto schüttelt. Die Tatsache, dass diese Soundmassage seit dem Modellwechsel zur C8 von hinten kommt, ist jedenfalls ein herberer Einschnitt in die Corvette-Kultur als das elektrische Antriebsmodul im Bug. So viel gleich mal vorweg.

V8-Sauger im Push-up

Bis zu 119 kW und 165 Nm generiert die permanenterregte Synchronmaschine, um sie bedarfsgerecht an die Vorderräder zu leiten, während sich der V8 weiterhin die Hinterräder krallt. Eine physische Verbindung zwischen den Achsen besteht nicht, sodass sich der balkenförmige 1,9-kWh-Akku (160 V Spannung) im Mitteltunnel langmachen kann.

Überhaupt ist das Konzept so angelegt, dass es die Corvette in ihren Wesenszügen so wenig wie möglich tangiert. So bleiben beide Kofferräume von den E-Zusätzen unbeeindruckt. Das Gewicht wächst gegenüber der Stingray zwar um 130 Kilogramm, führt mit 643 System-PS aber zu einem um 0,7 auf 2,8 kg/PS verbesserten Leistungsgewicht – na ja. Und dann weiß der Elektro-Rochen seine emotionale Ambivalenz auch dadurch zu tarnen, dass er das gemischte Doppelherz mit dem Breitbau-Anzug der Z06 verkappt.

Zu diesem gehört das wie üblich zugunsten eines Targa-Erlebnisses demontierbare Dach. Darunter: zwei großartig ausgeformte, in der tiefsten Stellung aber immer noch zu hoch positionierte Sitze, die baulich strikt getrennt und von den bekannten Elementen umgeben sind. Die verschiedenen Fahrmodi werden von stimmig animierten Instrumenten begleitet, deren Bildaufbau beim Durchschalten leider etwas zuckelig ist. In einer anderthalb Ellen langen Knopfleiste reihen sich die Klima-Funktionen am Kamm der Mittelkonsole auf. Weitere Eigenheiten: Das viereckige Lenkrad konterkariert das durchweg homogene Lenkgefühl; Navigations- und Sprachsteuerungsfunktionen existieren nur via Smartphone-Interface. Zudem muss zur allgemeinen Erheiterung erwähnt sein, dass alle Tasten im Cockpit beleuchtet sind – nur jene für die Innenbeleuchtung nicht.

Umso erhellender: die Intention des Hybridsystems. Obwohl in ihrem maximalen Energiegehalt gerade mal einer Tasse Benzin entsprechend, wirkt die Extradosis Boost wahre Wunder. Besser gesagt: wie ein Wonderbra. Nein, kein Männerwitz. Die ansatzlos zupackende Elektro-Power gibt der Drehmomentkurve einen noch pralleren Verlauf, polstert die schlaffen Bereiche auf und macht die üppigen noch üppiger – jedoch ohne dass einem der Kraftfluss nachher künstlich aufgebläht vorkommt.

Ein wesentlicher Faktor dabei: die Akustik. GM hat es mit der Cockpitdämmung nicht gerade übertrieben. Nicht nur das teils etwas ruppige Abpoltern der 20-/21-Zoll-Räder und das Prasseln aufgewirbelter Kieselsteinchen in den Radhäusern dringen recht ungefiltert nach drinnen, sondern insbesondere auch der Soundtrack dieses wahrhaft großen Herzens, das einen mit seinem bollerigen Bass regelrecht umarmt.

Mehr Punch, mehr Traktion

Anders als der Flatplane-Motor einer Z06 rockt der 90-Grad-V8 der E-Ray kuscheliger, reagiert isoliert betrachtet vielleicht etwas dumpfer, dreht zudem zotteliger hoch, aber unter derart derbem Hämmern aus, dass das minimale Jaulen des elektrischen Vorderachsmotors buchstäblich niedergeschmettert wird. Ja man könnte die Hybridisierung fast für ein plötzliches Hubraumwachstum halten – was ein ähnlich großes Kompliment ist, wie wir es vor einigen Ausgaben dem T-Hybrid-Antrieb des 911 Carrera GTS verliehen haben.

Genau wie im Porsche sind die Auswirkungen auf den Verbrauch auch hier weit weniger eklatant als die Effekte für die Fahrleistungen – zumal die E-Maschine die Corvette de facto in einen Allradler verwandelt. Die Längsdynamik wird also von zwei Seiten in die Mangel genommen: mit Mehrleistung und mehr Traktion. Auf der Uhr: 3,1 Sekunden von 0 auf 100 – drei Zehntel schneller als die Z06!

Überhaupt: Ihr Hang zur Performance ist der E-Ray ein steter Begleiter, wozu auch die Reifen beitragen. Die Michelin Pilot Sport 4S gehören zur spitzeren Sorte, fremdeln mit klammem Asphalt, verzahnen sich aber umso inniger mit warmem – nicht zuletzt wegen ihrer extremen Formate. 275er vorn und 345er hinten erzeugen Kurvenklebstoff en masse, letztlich also ein enormes Haftungs-Potenzial, das – wenn es eingefordert wird – auch in ein dementsprechend enormes Einlenkverhalten eskaliert.

Ohne zu übertreiben: In der Breitbau-Konfiguration gehört die C8 zu jenen Sportwagen, die ihren Bewegungsapparat starr mit den Handgelenken des Fahrers zu vernieten scheinen. Der Vorderradantrieb als Störfeuer? Mitnichten! Selbst unter Last sind Lenkintention und -reaktion fast deckungsgleich, gleisen die E-Ray jäh auf Kurs, finden im Spannungsfeld des Mittelmotorkonzepts aber das richtige Maß aus Agilität und Souveränität. Lastwechsel fallen – mutmaßlich auch aufgrund des Rekuperationseffekts – prägnant aus; dazu lässt die E-Ray nie einen Zweifel daran aufkommen, auf welcher Achse sich der Großteil der 778 Newtonmeter entlädt. Dennoch sitzt der breite Hintern – nicht zuletzt dank des günstigen Schwerpunkts – bombenfest.

Über die aktive Traktionskontrolle und den Wet-Mode lässt sich das Stresslevel zusätzlich nachjustieren. Beide Helferlein haben durch die zusätzliche Antriebsachse gegenüber Stingray und Z06 zwar an Notwendigkeit verloren, installieren dennoch eine Reling aus gutem Gefühl im Fahrverhalten, die mit feinen Impulsen das Fahren am Limit beziehungsweise im Nassen absichert.

Die übrigen Modi intensivieren das Fahrerlebnis schrittweise. Das Handmoment der intuitiven Lenkung wird dabei ebenso straffgezogen wie die Gaspedalkennlinie und das Fahrwerk. Dessen Magnetdämpfer ermöglichen an sich eine weite Spreizung, verspannen den 2,02 Meter breiten Zweisitzer ohne merkliche Rollneigung in der Querbeschleunigung, haben jedoch mit dem Lockerlassen so ihre Mühe.

Die Kombination aus hoher Torsionssteifigkeit, extremen Spur- und Reifenbreiten sowie der Absicht, 1.793 kg Leergewicht per Querstabilität gegen die Fliehkraft zu verbarrikadieren, gibt dem Gesamtkonstrukt die Flexibilität einer Stahlplatte. So läuft die E-Ray jeder Spurrille hinterher, will stets mit beiden Händen oder am besten aktiv gefahren werden.

Es gilt: Je höher das Kurventempo, desto fester der Zusammenhang. Die Bremswerte mögen für eine Keramikanlage und die Aufstandsfläche dieser Reifen unterwältigend sein, auch ging mit dem Verlust der Frontmotorhaube ein Großteil der typischen Corvette-Gefühle flöten. Die verbliebenen kitzelt die Hybridisierung jedoch wunderbar heraus: Der E-Boost unterstreicht den Charakter des Achtzylinders, verbreitert die inbrünstige Wucht des Hubraums, zurrt das straffe Ansprechverhalten noch mal nach, ist massiv in seiner Wirkung auf den Schub, gleichzeitig aber so subtil in seinem Zutun, dass sich das befürchtete Ende der Corvette-Identität am Ende eher nach einem gelungenen Remix ihrer Tradition anfühlt.

Technische Daten
Chevrolet Corvette E-Ray
Grundpreis169.900 €
Außenmaße4734 x 2024 x 1237 mm
Kofferraumvolumen355 l
Hubraum / Motor6162 cm³ / 8-Zylinder
Leistung354 kW / 482 PS bei 6450 U/min
Höchstgeschwindigkeit291 km/h
0-100 km/h3,1 s
Testverbrauch11,3 l/100 km