Mercedes-AMG E 53 Plug-In-Hybrid im Test

Mercedes-AMG E 53 Hybrid 4 Matic+ (W214)
Power-Limo mit 612 PS und Plug-in-Hybrid

Veröffentlicht am 24.12.2024

Gefühle sind schneller als jede Vernunft. Ganz wissenschaftlich betrachtet. Denn das limbische System, im Gehirn zuständig für Emotionen, trifft in Millisekunden Entscheidungen. So schnell hat das Gehirn seine linke Hälfte, zuständig für rationale Urteile, nicht mal aktiviert. Kann es die Vernunft dann mal einrichten – die Entscheidung ist längst gefallen –, bleibt ihr nur die Aufgabe, vernünftige Argumente zu suchen, um all den Unfug mit Fug und Recht zu begründen.

Was uns zu diesem Wagen bringt, dessen Namen wir, um der Vollständigkeit Genüge zu tun, einmal komplett nennen. Begrüßen wir den Mercedes-AMG E 53 Hybrid 4Matic+ zum Test. Stimmt, einen E 53 gab es bereits beim Vorgänger, aber nur mit Mildhybridsystem, doch nun übernimmt er die Spitzenposition im Programm. Dafür haben die Techniker sich wohl ihre linke Hirnhälfte zermartert. Und gelang es ihnen, die unvernünftige, hochvergnügliche Tobsucht zu rechtfertigen, die von einem leistungsüberbordenden Reihensechszylinder-Turbo ausgeht, der eine Limousine kapert, die der Gediegenheit verpflichtet ist?

Mercedes-AMG E 53 Hybrid 4 Matic+
Rossen Gargolov

Um derlei Exzesse kümmerte sich beim Vorgänger-Spitzenmodell, dem E 63, ein Vierliter-V8-Biturbo alleine, ohne dass je ein Mangel an Überborden aufgekommen wäre, nicht bei 850 Nm und 612 PS. Der E 53 kommt auf – ach, was für ein Zufall, ganz gewiss – 612 PS, dazu 750 Nm. Doch die Systemleistung basiert nicht auf der Alleinherrschaft des Verbrenners. Stattdessen geht der eine Leistungs-Kraft-Koalition ein, für die er 449 PS und 560 Nm wärmekraftmaschiniert. 120 kW und 480 Nm rotiert die permanenterregte Synchronmaschine am Getriebekopf zusammen.

Und nun mal im Detail. Beginnen wir mit dem Plug-in-System und der Feststellung, dass AMG die Sache mit der Teilzeitstromerei inzwischen mit einer Ernsthaftigkeit angeht, die dem ersten Projekt abging. Stattdessen erachten wir den AMG-GT-Viertürer E 63 S Performance V8 4Matic mit einer E-Reichweite von exakt 13 km als, nun, eher nachrangigen Beitrag zu den Bemühungen der Weltgemeinschaft, die CO2-Emissionen zu senken.

Klar, auch im E 53 Hybrid soll das E-Werk vor allem boosten – ansatz- und gerne pausenlos. Und auch klar, dass sich damit die 28,6 kWh Kapazität des Lithium-Ionen-Akkus kurzweilig durchbringen lassen. Doch legt es der 53 darauf an, sie als E-Reichweite zu nutzen. Denn bei ihm startet die Vernunft vor dem Gefühl.

Mercedes-AMG E 53 Hybrid 4 Matic+, Ladebuchse
Rossen Gargolov

Auf gute Nachbarschaft

Beim Druck auf den Startknopf nämlich fährt zuerst der E-Antrieb hoch, auf dass der E 53 leise lossurrt. Ach, wie erfreulich das ist, im Vergleich zu diesem – ganz ehrlich – grenzpeinlichen Krawallgetöse, mit dem viele andere AMG sonst die Nachbarschaft über die Abreise in Kenntnis setzen.

Sodann stromert der E 53. Und stromert. Stromert und stromert, sodass du nach 91 Kilometern vor Schreck zusammenzuckst, wenn der Sechszylinder anspringt – durchaus kernig. Dabei nutzt der Plug-in nicht die ganze Akkukapazität, sondern hält etwa ein Viertel zurück, um stets genug zum Boosten parat zu haben.

Wobei der E-Motor mehr als einfach nur unterstützt. Da sein Drehmoment vom Start weg anliegt, drückt er den E 53 schon ansatzlos voran, wenn die Schaufelräder des Twin-Scroll-Turbos noch in der Ladedruckflaute dümpeln. Übrigens länger noch, denn um das Triebwerk auf die volle Leistung zu plustern, brauchen sie 1,5 bar. Im alten E 53 genügten 1,1 bar – bei 14 PS weniger Verbrennerleistung. Derweil schäumt der E-Motor das Turboloch bis zur Oberkante glatt aus, schreinert drauf noch schnell die Showtreppe auf die Bühne, die der Verbrenner nach dem schwungvollen Auftritt des Elektroballetts dank festem Ladedruck mit dem großen Hollywood-Anlauf herunterstürmt. Die ganze Gala-Vorstellung fährt die Antriebskombo auf Anfrage des Race-Start-Modus selbstredend gern auch im Schnellvorlauf ab: Fahrprogramm S oder S+ wählen. Linken Fuß fest auf die Bremse. Gaspedal voll durchdrücken. Fuß von der Bremse. Nun geht es in voller Wucht los, und: eins, zwei, drei, vie... ba-bing – nach 3,9 Sekunden haben Elektro- und Turbomotor den 2381 kg schweren AMG auf Tempo 100 gestanzt.

Ja, 2381 Kilogramm, richtig gelesen. Mit den 539 weiteren als erlaubter Zuladung erlangt der Wagen ein zulässiges Gesamtgewicht von 2,92 Tonnen. Und weitere 2,1 Tonnen könnte sich der AMG zudem an eine Anhängerkupplung klemmen lassen. Wobei wir uns gerade vorstellen, wie eine zweiachsige Tabbert Comtesse 620 mit fahrtwindzerzauster Seitenmarkise versucht, am AMG E 53 dranzubleiben, wenn der unten am Kirchheimer Dreieck mal geschwind An- lauf für die Kasseler Berge nimmt.

Doch wir waren ja am Brocken, also den Brocken, den der AMG mit sich herumfährt. Rund 400 kg wiegt die Hybridabteilung mit E-Maschine, Leistungelektronik, dem hochragenden, kofferraumverhöhnenden Akku über der Hinterachse, Ladeanschluss, Kabeln und gewiss Kleinteilen – die dürfen auf keiner Rechnung fehlen.

Mercedes-AMG E 53 Hybrid 4 Matic+
Rossen Gargolov

Eine Klage der Schwere

Sehen Sie, ein Stück weiter vorn, noch so 55 Zeilen weit entfernt, da steht es schon ganz lässig am Seitenrand und wartet nur, bis wir vorbeikommen. Genau, das große Aber. Denn es weiß, dass es gleich seinen Einsatz haben wird, auch wenn wir zuerst erklären, weshalb es dafür eigentlich keinerlei Grund geben sollte.

Schließlich toupieren die Technik-Friseure die gute Tante E wieder hoch mit so ziemlich allem an dynamiksteigernder und gewichtsrelativierender Technik. Dabei beginnen sie mit der Rohkarosse, in die sie ein zusätzliches Fachwerk an Verstrebungen einziehen: eine Domstrebe zwischen den Federbeinaufnahmen über dem auf dynamischen Lagern montierten Sechszylinder und unter ihm ein mit den Längslenkern verstrebtes Schubfeld – beides für höhere Torsionsfestigkeit und steifere Lenkpräzision.

Auch im Heck gibt es Zusatzstreben zu den Längslenkern der mit steiferen Gummilagern präzisierten Raumlenker-Hinterachse. Die steuert mit – bekannt bei der E-Klasse , doch für höhere Kurvendynamik bekommt die Allradlenkung eine andere Abstimmung. Statt bis 60 km/h lenken die Hinterräder bis 100 km/h entgegen den vorderen ein, maximal mit 2,5 Grad. Darüber steuern sie mit bis zu 0,7 Grad parallel mit den vorderen, erhöhen so die Fahrstabilität, vor allem in schnellen Autobahnkurven.

Durch mit der Hinterachse? Oh nein, denn die ist wie die vordere mit Adaptivdämpfern ausgestattet, zudem sitzt da das elektronisch gere- gelte Sperrdifferenzial. Schließlich schickt die Allradsteuerung über ihre elektromechanische Kupplung meist den größeren Anteil der Antriebsmomente nach hinten – wobei die 4Matic das Wuchtkontingent zwischen vorn und hinten vollvariabel dosiert.

Womit nun alles bereit wäre, um die Fahrt prächtig zu dynamisieren. Tatsächlich geht es voran, dermaßen. Der E 53 wuchtbrummt mit immensem Grip, unersättlicher Beschleunigung – der Testwagen ist bis 280 km/h freigeschaltet – und fast unerschütterlich routinierter Fahrsicherheit. Und jetzt? Genau: das Aber.

Aber der AMG bringt all die Talente, welche die Technik ihm verschaffen sollte, nicht recht zusammen. Bei den Fahrdynamiktests, Slalom und doppelter Spurwechsel auf der sehr ebenen, sehr breiten, überaus abgesperrten Messstrecke, kommt er auf eindrückliche Werte. Das heißt, eindrücklich, bis du sie mit denen des E 450 d 4Matic vergleichst. Beim letzten Test (ams 22/2024) wirbelte der 1,0 km/h schneller durch den Slalom – souverän und entspannt, während der E 53 aggressiver auf der Hinterachse mitlenkt. Dazu drängt sein Heck bei Slalom und Spurwechsel kräftig. Das mag – wie die direkter ansprechende, haltekraftintensivere Lenkung – jene Zuspitzung bringen, die sich Kunden von einem AMG erwarten. Aber sollte die ihn nicht nur spitzer, sondern auch schneller machen? Ja, doch 343 kg Mehrgewicht zum E 450 d lassen sich nicht leicht-kaschieren. Und mit Verbundbremsen vorn sollte er – wenn sie sich wegen des verhärtenden Pedals schon schlecht dosieren lassen – zumindest besonders massiv verzögern? Sollte man meinen, doch der Bremsweg des 450 d war trotz konventioneller Anlage kalt um 2,3, warm um 1,3 Meter kürzer. Was wir abermals auf das höhere Gewicht zurückführen, zudem auf einen anderen Reifentyp.

Was nicht kümmern muss, wenn der E 53 vergnügt, wenn es darum geht, worauf es ankommt: um die Kurve. Also los. Auf der Landstraße ist er, tja, eine Teilsensation. Und zwar zu jenem Teil, dass es beeindruckt, wie erfolgreich und lange es ihm gelingt, seine Masse behände durch Kurven schwingen zu lassen. In die biegt er mit entschlossener Abruptheit, durchfährt sie neutral, auf einen munteren Tapser Gas mit sachter bis intensiver Quererbietung. Aber auch da der Akku die Balance heckwärts schiebt (47 : 53 Prozent), ist es oft ein Gerangel mit dem breiten, schweren E 53. Verloren gehen jene Harmonie und Geschmeidigkeit, die sonst eine Landpartie mit der E-Klasse zu einem prächtigen Vergnügen krönen. Einem bequemen überdies.

Die Federung des 53 spricht schon im Comfort-Modus ruppig an. Auch das mag man von einem AMG erwarten. Nur strafft sich das Set-up auf Sport noch mehr – so sehr, dass sich die Passagiere auf schlechten Straßen fühlen wie Würfel im Würfelbecher.

Die Würfel sind gefallen

Der rumpelige Komfort schwächt die sonst allergrößte Stärke der E-Klasse: ihr überragendes Talent für die Weitreise. Für die hat der E 53 sonst alles dabei: das komplette Licht- und Assistenzspektakel bis zum automatisch vollführten Spurwechsel auf Autobahnen. Das bestaufgestellte Infotainment samt Separat-Monitor für den Beifahrer. Und für den Fahrer ein Head-up-Display mit Augmented Rea-lity, das bei uns früher im Dorf als Kino durchgegangen wäre. Ja, wir hätten uns mit zwei Tüten Chips davorgesetzt.

Allergrößtes Kino? Hm, ist der E 53 dem Gefühl nach eher nicht. Aber ein Auto für alle, die eine imposant geradeausschnelle Höchstleistungs- limousine kaufen wollen und bezahlen können. Und eines, das dabei sehr effizient mit der Energie umgeht (Testverbrauch nach ams-Profil: 1,9 l SP + 21,2 kWh/100 km). Aber wir haben so das leise Gefühl, dass es die linke Gehirnhälfte trotz dieses rationalen Arguments schwer haben wird, das limbische System umzustimmen.

Technische Daten
Mercedes AMG E 53 Hybrid 4MATIC+ Mercedes-AMG
Grundpreis109.242 €
Außenmaße4959 x 1880 x 1472 mm
Kofferraumvolumen370 l
Hubraum / Motor2999 cm³ / 6-Zylinder
Leistung330 kW / 449 PS bei 6100 U/min
Höchstgeschwindigkeit250 km/h
0-100 km/h3,9 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km
Testverbrauch9,1 kWh/100 km