Betrachtest du diese Stadt, jenes Land, womöglich das Leben als solches von hier, vom Dach des früheren Fiat-Werks Lingotto in Turin, erkennst du: Alle Vergangenheit ist nur Vorgeschichte. Alles, was war, lief auf das zu, was gerade ist und morgen schon gewesen sein wird, was zu jenem nächsten Heute führte. Herrje, hat der denn nicht mehr alle Quattro Stagioni auf der Pizza? Doch, doch, aber dann wiederum reicht die Historie dieser Stadt so weit zurück, dass sie gar auf das unerquickliche Privileg zurückblicken kann, im Jahr 218 vor Christus für Hannibal auf dem und im Weg zu sein bei seinem italienischen Feldzug, worauf er sie zerstörte.
Wobei der 11. Juli 1899 einen viel direkteren Einfluss auf unseren Besuch in Turin und Lingotto hat. An jenem Dienstag gründet Giovanni Agnelli mit acht weiteren Herren die Fabbrica Italiana Automobili Torino. Seither baut Fiat Autos, selbstredend geschaffen für Italien. Und einige der allerwunderbarsten – etwa den Topolino (1936 bis 1955) – fertigt Fiat im 1923 eröffneten Werk Lingotto. Das Allerbesonderste an dieser Fabrik, entworfen von Giacomo Matté-Trucco: Die Produktion läuft über mehrere Stockwerke. Am Ende kurven die fertigen Autos über eine Schneckenrampe aufs Dach und drehen auf einem rund einen Kilometer langen Oval ein paar Testrunden (eine Idee, die – kleiner Ausflug ins Universum des unnützen Wissens – 1928 der belgische Autohersteller Imperia in Nessonvaux nachbaut und Chrysler im selben Jahr im Palacio Chrysler in Buenos Aires). 1982 schließt das Werk, das letzte gebaute Modell: der Lancia Delta.

Fiats Meisterwerke und mittendrin der neue Stromer Fiat Grande Panda.
Womit wir zwar viel erzählt hätten, aber noch nicht erklärt, was uns eigentlich hierher- und hochbringt: der neue Panda. Der nennt sich in seiner vierten Generation nun Grande und elektrifiziert seinen Antrieb, womit er womöglich nicht so ein Revoluzzer ist wie der erste Panda von 1980. Aber als E-voluzzer darf er sich schon fühlen. Als tatsächlich so erschwingliches, pragmatisches, dabei erstaunlich vollwertiges E-Auto, wie es nur Italien und auch dort wohl nur Fiat hervorbringen kann.
Außerdem hieß es auch offiziell, nur Elektroautos dürften über die sich hochschlängelnde Rampe. Was wir ordnungstreuen Tedeschi mal wieder falsch verstanden, da uns das Komma verrutschte. Korrekt wäre: Es hieß auch, offiziell dürften nur E-Autos hoch. Aber für solcherart Offizielles findet sich nach etwas Hin und Her, Her und Hin doch immer ein pragmatisches Ausnahmsweise.

Auf dem Dach des früheren Fiat-Werks Lingotto fährt der Fiat Grande Panda über die ehemalige Teststrecke.
Die Art vom Dach
Jedenfalls sind wir ganz allein hier oben. Gedämpft nur dringt der Trubel der Stadt empor, während wir durch die südliche Steilkurve, nun: steil kurven. Darf man sonst nicht – also offiziell –, seit die Teststrecke zu einem Dach- sowie Kunst- und Skulpturenpark umgeräumt wurde. Doch nun ein letzter Blick über die Stadt und das Land, dann witschen wir mit dem Grande Panda die Kurvenrampe runter und gleich mitten hinein in das Wimmeln der Stadt. Jetzt einen Cappuccino? Gern, aber verboten.
Obwohl wir schon da sind, nämlich im Caffè Torino, von allen weltbesten Bars die weltallerbeste, besucht von Königen und Künstlern. Dazu schätzen wir Italien womöglich mehr noch als für seine Kunst auf Dächern für jene, welche die Baristi beherrschen. Der Cappuccino für zwei Euro, serviert in Porzellantassen, getrunken an der Bar, niemals in diesem ungalanten Zum-Mitnehmen, aber eben keinesfalls nach Mittag. Das ist eine der Regeln, hinter denen sich diese ganze große Nation versammelt, ähnlich wie die Briten beim No-brown-after-six-Gebot. Wobei: Auf der Insel wird ein Verstoß ja eher lax geahndet, mit einer hochgezogenen Augenbraue. In Italien dagegen brächte man damit leicht die halbe Besucherschaft des "Torino" gegen sich auf. Also besser: un caffè.

Allein auf dem Dach von Lingotto mit Blick auf Po, Ponte Vittorio Emanuele I und dem Piazza Vittorio Veneto.
Obenswerte Ab- und Aussichten
Danach noch unter den Arkaden bummeln und weiter durch die Stadt? Dufte Idee, gewiss, um schicke Schuhe, Taschen, Klamotten einzukaufen. Aber die Hoffnung, Fotograf Hans-Dieter oder gar noch ich könnten damit den Status eines Wegbereiters der Herrenmode erlangen, hat auf Erfolg eher keinerlei Aussicht. Also verschaffen wir uns davon eine andere. Wieder eine über die Stadt, nun aber vom Monte dei Cappuccini, auf dem erst die Römer eine Schutzwehr für die Stadt einrichteten, später ein Kapuzinerorden Kloster und Kirche – nur einen kleinen, steilen Spaziergang von der Stadt entfernt.
Wir nehmen dennoch den Grande Panda mit, fürs Foto, aber mehr noch fürs Vergnügen. Denn mit italienischen Autos ist es wie mit Pizza, Pasta, Cappuccino: In Italien sind sie alle immer noch besser. Bei den Autos liegt das daran, dass sie eben auf den Straßen umherkurven, für die sie entwickelt sind. Und so witscht der Panda trotz seiner gewachsenen Breite noch immer so flink und gewandt durch den Verkehr, der am Nachmittag vom Getümmel zum Tumult anschwillt, mit all dem Gehupe und Gestikulieren, Drängeln und Drücken, wie es nur italienische Großstädte in solcher Perfektion inszenieren können. Nicht nur dabei, nicht nur mittendrin, sondern immer vornedran und vorneweg: der Panda.
Denn mit seinem E-Antrieb stemmt er sich drangvoller, flinker und geschickter los als alle anderen, wuselt über die Spuren, umwirbelt Linksabbieger und Straßenbahnen, schwingt rasant den Berg empor. Da dann: schauen, staunen – und schon die nächste Idee. Denn da drüben siehst du ja die Wallfahrtskirche Superga auf ihrem Berg. Na, aller guten Aussichten sind? Genau, wir hatten Lingotto und den Monte, jetzt noch hier hoch.
Dort bleiben wir, bis die Erde sich von der Sonne abwendet. Deren letzte Strahlen streifen über die Stadt, in die wir hinabfahren, um die großen Fragen des Lebens zu klären: Pizza oder Pasta? Auf die hat das Eataly, eine Markthalle gleich um die Ecke von Lingotto, jedwede Antwort parat – bis nachts um elf. Da sind wir schon im Hotel, dem NH Lingotto Congress, denn das frühere Werk hat sich inzwischen auch zu einem Vier-Sterne-Etablissement weiterentwickelt, unter anderem.

Pizza oder Pasta ist die wichtigste Frage, die man sich in Italien stellen kann.
Lago der Nation
Nach guter Nacht, einer Laufrunde lange vor bis kurz nach Sonnenaufgang am Ufer des Po gibt es Frühstück. Im Hotel auschecken, Panda auf dem Parkplatz abstecken, ab nach Mirafiori, Gate 31. Das ist der Zugang zu Fiats Heritage Hub, dem reich mit allen Wunderbar- und Sonderbarkeiten ausstaffierten Fundus an Serien-, Renn- und Studienautos von Fiat und Lancia. Zwischen Maserati-F1-Rennwagen, Fiats größten Kleinen von Topolino bis zur Panda-Dynastie, Lancia-Staatslimousinen und einem Fuhrpark von Carabinieri-Einsatzwagen könnte man Stunden vertrödeln. Also vertrödeln wir Stunden dort.
Dann geht es los in Richtung Lago Maggiore. Wir haben da als QR-Code eine Route zum Nachfahren hinterlegt. Wobei wir so ganz sicher nicht sind, ob das wirklich unsere ist. Denn es gibt ja dauernd Sachen zu sehen, zu bestaunen oder solche, denen man ausweichen muss. So verfranzt du dich eh und selbst mit dem besten Navi der Welt, nach dem es langgeht: der eigenen Nase nach.

Auf dieser Reise hilft auch kein Navi mehr also immer der eigenen Nase nach.
Da es selbst mit dem wunderbarsten Verfranzen nicht mal eine Akkuladung ist von Turin zum Lago, ist es noch hell, als wir an seinem Westufer entlangfahren. Nur nicht zu weit, um nicht unversehens in der Schweiz zu landen, wo sie eine Ordentlichkeit und Wohlsortiertheit pf legen, für die wir nach den heiteren Tagen in Italien wohl noch nicht den nötigen Ernst aufbringen können. Also bleiben wir in Stresa, essen Pizza oder Pasta, trinken Caffè und verbringen die restliche Zeit bis zum Abend mit dem, weswegen wir gekommen sind. Wir sehen den See – wie der Wind kleine Wellen auf seine Oberf läche pustet und wie die ihren Glanz ändert, changierend im Farbspiel des Himmels. Endlich zieht die Nacht ihre Schatten über den Lago, der Tag vergeht, führt doch ins Morgen. Wie jeder weitere bis zu einem ferneren Tag, von dem wir wissen, dass er kommen wird: dem unseres Wieder-Seens.
Das ist der neue Fiat Grande Panda
Niemals wagten wir es, den neuen Fiat Grande Panda – wie einst die Werbung seinen Urahn – als "tolle Kiste" zu bezeichnen. Nein, nein, in seiner nun vierten, auch elektrifizierten Generation feiern wir den Panda als die allertollste Kiste, um durch Italien oder da-, dort-, ja überallhin zu stromern. Und wie schön, dass er uns noch immer überraschen kann, obgleich wir mit seinen früheren Generationen bereits so viel erlebten an heiteren Abenteuern. Da haben wir Flüsse durchfurtet, einfach weil sie im Weg herumflossen, haben die Alpen erklommen auf der Suche nach dem ersten Schnee und sind Gipfel hinabgestiegen, um Kühe von der Alm zu treiben. Nun strömen wir durch Italien, das Land, für das der Grande Panda geschaffen ist – oder auch andersherum. Stimmt, wir wissen noch nicht, wie das mit dem Hybridantrieb erst sein mag, bei dem ein 21-kW-E-Werk im Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe dem turboproppenden, 101 PS starken 1,2-Liter-Dreizylinder zuboostet.

3,99 m kurz und doch mit Platz für fünf samt Gepäck, dazu Reichweite für 320 km Italien.
Aber gewiss können wir sagen, dass der reine E-Antrieb mit seinen 83kW und 122 Nm dem Grande Panda eine solch ansatzlose Flitzigkeit verschafft, dass er noch gewiefter, flinker, witschiger durch die Straßen Turins flitzt. Und dann weiter und weiter, bis zu 320 km* am Stück reichweitenstark und bis zu 132 km/h tempogeschwind. Zwischendrin mal laden? Geht mit 100-kW-Gleichstrom. Daheim? Mit 11 kW an der Wallbox, aber noch lieber nur mit 7 kW. Warum das jetzt? Weil es dann über das 4,5 Meter lange Spiralkabel geht, das der Grande Panda hinter einem Kläppchen an der Motorhaube ab- und aufschlängelt. Was für eine Idee! Nämlich so eine, von der man sich sofort fragt, warum auf die in nun auch schon ein, zwei Jahrzehnten E-Mobilität noch keiner vorher gekommen ist. Und eine, welche die Brillanz des Grande Panda zeigt, der den Alltag mit cleveren Details nicht nur einfacher, sondern auch schöner gestaltet. Denn ob Lichter, Instrumente, ja selbst die Recycling-Materialien im Innenraum – alles nicht nur solide und gut, sondern mit dieser Liebe zum Design und Detail entwickelt, wie sie nur ein Land und dort vielleicht nur ein Auto in solch reiner, uneitler Vollendung hervorbringen kann: der Panda, der auf 3,99 Metern Länge Format und Fähigkeiten eines zeitgemäßen, erschwinglichen und vor allem vergnüglichen Vollwertautos zu Grande bringt.
* Kombinierte Werte gemäß WLTP. Die tatsächliche Reichweite kann aufgrund zahlreicher Faktoren wie Fahrstil, Route, Wetter und Strassenbedingungen sowie Zustand, Gebrauch und Asusstattung des Fahrzeugs variieren.