Der Online-Versandhändler Amazon will umweltfreundlicher werden und investiert deshalb in eine Elektro-Lieferwagen-Flotte. Diese rollt nun an den Start.
Der Online-Versandhändler Amazon will umweltfreundlicher werden und investiert deshalb in eine Elektro-Lieferwagen-Flotte. Diese rollt nun an den Start.
Im Februar 2021 zeigte sich, warum Amazon zuvor mit 700 Millionen Dollar (aktuell etwa 685 Millionen Euro) bei Rivian eingestiegen ist: Mit dem Elektro-Start-up kann der Online-Riese seine Transporter-Flotte mit rein elektrisch angetriebenen Lieferwagen aufrüsten. Wie Amazon-Boss Jeff Bezos damals bekanntgab, bestellte Amazon 100.000 Exemplare des EDV-700 (EDV = "Electric Delivery Van") bei Rivian. Dies sei bisher "die größte Bestellung von elektrischen Lieferwagen" überhaupt, ergänzte Dave Clark, der im Konzern als Senior Vice President für die weltweiten Operationen zuständig ist. Amazon ist mit einem Anteil von 20 Prozent der größte Einzelaktionär bei Rivian.
Den damaligen Plänen zufolge sollte die Auslieferung der ersten Transporter Ende 2022 beginnen. Und weil das Thema "rechtzeitige Lieferung" für den Online-Versandhändler essenziell ist, hat Rivian Wort gehalten und inzwischen die ersten Serienexemplare an Amazon übergeben. Im weiteren Verlauf des Jahres soll der Konzern mehrere tausend EDV-700 in seinen Fuhrpark aufnehmen und in mehr als einem Dutzend US-Städten, darunter Baltimore, Chicago, Dallas, Nashville, San Diego und Seattle, einsetzen. Bis 2030 sollen sich 100.000 Rivian-Transporter in den Händen von Amazon befinden. Auch diese Zielmarke haben beide Unternehmen nochmals bestätigt.
Offiziell sind Rivians Amazon-Transporter anfangs noch als Testflotte unterwegs. Die Bestellung ist Teil der Amazon-Strategie, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zehn Jahre früher als vorgesehen zu erreichen. Heißt: Bis 2040 will der Versandriese CO2-neutral agieren. Entsprechend lädt Amazon die neue EDV-700-Flotte hauptsächlich mit Strom aus erneuerbarer Energie. Dafür baut der Online-Händler gerade eine Lade-Infrastruktur an seinen Verteilerzentren auf. Allein mit den Transportern will Amazon ab 2024 jährlich vier Millionen Tonnen CO2 einsparen.
Der Rivian EDV-700 ist 7,04 Meter lang, bietet einen Radstand von 4,75 Meter und wiegt bei voller Beladung 4,24 Tonnen. Zur Antriebstechnik gibt es weiterhin keine konkreten Informationen. Ein Rivian-Sprecher bestätigte amerikanischen Medien immerhin, dass der Transporter einen Großteil der Technik des R1T und des R1S übernimmt. Allerdings ist der Electric Delivery Van deutlich günstiger und robuster konstruiert: Während die Rivian-Pkw eine weitgehend aus Aluminium gefertigte Karosserie über eine "Skateboard"-Plattform aus demselben Leichtmetall stülpen, nutzt der Transporter eine RCV-Plattform (Rivian Commercial Vehicle) und Karosserie aus Stahl.
Unklar ist weiterhin, welche Batteriegröße Rivian in dem Transporter installiert. Der US-Umweltbehörde EPA zufolge soll ein voll beladener EDV-700 mit seinem Nickel-Mangan-Kobalt-Akku eine Reichweite von 201 Meilen (etwa 323 Kilometer) bieten. Später will Rivian jedoch günstigere Lithium-Eisenphosphat-Zellen einsetzen, ohne dass das Nutzfahrzeug an Reichweite einbüßen soll. Statt der vier radnah verbauten E-Motoren beim R1T und R1S, die zusammen bis zu 800 PS leisten, erhält der Lieferwagen ein- und zweimotorige Antriebsstränge, die ihn entweder zum Fronttriebler oder Allradler machen. Die Leistungsdaten sind bisher nicht bekannt, bei dieser Art von Nutzfahrzeugen aber auch weitgehend irrelevant.
US-Zulassungsdokumente bestätigen unterdessen, dass es vom Rivian-Transporter zwei Varianten geben wird, die mit S und Z betitelt sind. S kennzeichnet die Service-Version, Z den E-Transporter für Amazon. Damit ist klar, dass der elektrische Lieferwagen auch für Betreiber außerhalb der Amazon-Flotte zugänglich sein wird. Die Dokumente weisen aber auch die einzelnen Modelle aus. Genannt werden hier neben dem EDV-700 ein 500er und ein 900er, wobei sich die Ziffern auf das ungefähre Ladevolumen in Kubik-Fuß beziehen. Also umgerechnet rund 14, 20 und 25 Kubikmeter, wobei es beim 700er in Wahrheit wohl nur 660 Kubikfuß (18,7 Kubikmeter) sind. Zudem sind laut den Unterlagen Rechts- und Linkslenker-Varianten geplant.
Nach Informationen von Amazon bekommt der Transporter, der hier in seiner einmotorigen Variante eingesetzt wird, eine Reihe von Autobahn- und Verkehrsassistenz-Technologien sowie eine große Windschutzscheibe für ein gutes Fahrer-Sichtfeld. Hinzu kommen Außenkameras rund um das Fahrzeug, die mit einer Digitalanzeige in der Kabine verbunden sind und dem Fahrer eine 360-Grad-Sicht außerhalb des Fahrzeugs ermöglichen. Für zusätzliche Sicherheit sorgen ein automatischer Notbremsassistent mit Kollisionswarnung und ein adaptiver Tempomat. Zu erwarten ist eine Alexa-Integration für freihändigen Zugriff auf Routeninformationen und die neuesten Wetter-Updates.
Eine verstärkte Tür auf der Fahrerseite soll für zusätzlichen Schutz und eine von Amazon so genannte "Tanzfläche" in der Fahrerkabine für Bewegungsfreiheit im Van sorgen. Besonders helle Rücklichter, die das Heck des Fahrzeugs umgeben, ermöglichen hinterherfahrenden Verkehrsteilnehmern, einen bremsenden Rivian EDV-700 gut zu erkennen. Im Ladeabteil finden sich drei Regalebenen, die von hinten über ein elektrisch bedienbares Rolltor zugänglich sind. Die Tür ver- und entriegelt sich automatisch, wenn sich der Zusteller oder die Zustellerin dem EDV-700 nähert oder sich von ihm entfernt.
Die Karosserie, der Innenraum, die Software und das Fahrwerk schneiden die Ingenieure speziell auf die Anforderungen des Amazon-Transporters zu. Der Lieferwagen soll auf einer eigenen Produktionslinie im Rivian-Werk in Michigan vom Band rollen und keine Auswirkungen auf die Auslieferungen der anderen Modelle haben. Unklar ist bislang, was der Rivian-Transporter kostet beziehungsweise wie genau die finanziellen Vereinbarungen mit Amazon aussehen. Der Pick-up R1T kostet vor Abzug aller Elektroauto-Prämien in den USA aktuell 79.500 Dollar (gut 77.800 Euro). Weil das Modell derzeit aber von enormen Lieferschwierigkeiten betroffen ist, verlangen viele Händler deutlich höhere Preise.
Bei einem Transportermodell soll es für Rivian perspektivisch nicht bleiben. Unternehmenschef RJ Scaringe hat bereits angekündigt, eine komplette Palette aus verschiedenen Nutzfahrzeug-Varianten auflegen zu vollen, welche die RCV-Plattform nutzen. Um den entsprechenden Output stemmen zu können (2030 will Rivian pro Jahr insgesamt eine Million E-Fahrzeuge bauen), sollen weitere Rivian-Werke auf der ganzen Welt entstehen. In Europa hat der Hersteller bereits eine bestehende Fabrik in den Niederlanden im Blick.
Dass ein Versandhändler bei einem Autohersteller einsteigt, um zusammen mit diesem eigene Transporter zu bauen, ist nichts Neues – so hat UPS sich bereits spezifische Fahrzeuge von Daimler bauen lassen und die Deutsche Post hatte sich Streetscooter einverleibt. Die Post hat ihre Elektro-Transporter-Sparte inzwischen jedoch wieder verkauft. Amazon war aber nie interessiert und hält, ganz offensichtlich, die Technik von Rivian für zukunftsfähiger. Nun starten der Versandhändler und das E-Auto-Start-up ihr gemeinsames Abenteuer in den USA. Wann wir die ersten Rivian EDV-700 im Amazon-Outfit in Europa sehen werden, ist noch nicht bekannt.