Tödliches Vergessen: Im Schnitt sterben in den USA pro Jahr fast 40 Kinder, zurückgelassen im Auto. Seit 1998 waren es bis heute 929. Bis 2025 müssen US-Autohersteller ihre Fahrzeuge mit einem Rücksitzerinnerungssystem ausstatten.
Tödliches Vergessen: Im Schnitt sterben in den USA pro Jahr fast 40 Kinder, zurückgelassen im Auto. Seit 1998 waren es bis heute 929. Bis 2025 müssen US-Autohersteller ihre Fahrzeuge mit einem Rücksitzerinnerungssystem ausstatten.
In den USA sind Warnhinweise an nahezu jeder Ecke zu lesen. Auf Kinderwagen steht "Vor dem Zusammenklappen Kind herausnehmen", auf dem Kaffeebecher "Inhalt könnte heiß sein" und auf der Mikrowelle "Keine Tiere oder Kinder hineinpacken". Was aber anscheinend viel wichtiger wäre, sind Warnhinweise auf, in und um Autos herum mit der Aufschrift: "Bei heißen Außentemperaturen Kind nicht im Auto zurücklassen." Denn in den vergangenen 24 Jahren starben durch diese Art von Nachlässigkeit, Schusseligkeit oder einfach auch Dummheit 929 Kinder in den USA (Stand 5. September 2022).
Wie oft der Notarzt in den USA in den vergangenen 24 Jahren auch nichts mehr retten konnte, ist äußerst eindrucksvoll auf der Internetseite NoHeatStroke.org dargestellt. Einer Internetseite, die sowohl grafisch als auch tabellarisch Auskunft darüber erteilt, wo welches wie alte Kind gerade oder seit 1998 im Auto an Überhitzung verstorben ist. Jedes Jahr kommen rund 40 Namen hinzu. Die traurige Nummer 800 war ein vierjähriger Junge in St. Paul, Minnesota, der an einem Samstag tot aufgefunden wurde, nachdem er stundenlang im heißen SUV seines Vaters zurückgelassen wurde, während dieser bei der Arbeit war.
Im Jahr 2021 starben 23 Kinder den Hitzetod im Auto. Im Vorjahr waren es 25, davor 53 (trauriger Rekord). Der Rekordmonat ist der Juli. Seit 1998 bis heute starben im Monat Juli 209 Kinder (Durchschnitt 9 Kinder pro Juli). Allein im Jahr 1999 sind genau in diesem Todesmonat 16 Kinder den Hitzetod gestorben. Es geht sogar so weit, dass nach Unfällen der Hitzetod die häufigste Todesursache für Kinder unter 14 Jahren ist. Der 19. März eines jeden Jahres ist rein rechnerisch als Start in die Hitzetod-Saison errechnet worden. Die meisten Kinder starben an einem Donnerstag (154) und Freitag (153). Das Durchschnittsalter der Opfer liegt bei 27,2 Monaten. 31 Prozent der toten Kinder haben nicht einmal ihren ersten Geburtstag erlebt. Zu 38 Prozent war die Mutter, zu 25 Prozent der Vater für den Tod verantwortlich. In über der Hälfte der Fälle (54 Prozent) wurden die Kinder schlicht vergessen. Interessanterweise fanden 58 Prozent der Unfälle vor dem eigenen Haus und nur 23 Prozent bei der Arbeit statt. 13 Kinder starben im Auto, während die Eltern in der Kirche waren. Die US-Bundesstaaten mit den meisten Todesfällen sind Texas (126), gefolgt von Florida (93) und Kalifornien (52).
20 teilnehmende Autohersteller (darunter General Motors Co., Ford Motor Co., Volkswagen AG, Toyota Motor Corp., Hyundai Motor Co. und Honda Motor Co.) gaben bekannt, bis zum Modelljahr 2025 alle US-Fahrzeuge mit einem Rücksitzerinnerungssystem auszustatten. Fiat Chrysler Automobiles NV ließ sogar verlauten, dass die Erinnerungstechnologie später weltweit Anwendung finden soll. Eine Technologie, die aus dem Auto aussteigende Erwachsene sowohl durch akustische als auch visuelle Weise darauf aufmerksam machen soll, dass im Fond noch ein oder mehrere Kinder sitzen. GM verfügt bereits seit 2016 bei einigen US-Fahrzeugen über solch ein System.
Kurz zur Erklärung, was sich bei einem qualvollen Hitzetod abspielt: Zunächst verliert der kleine Körper Wasser und Mineralien, das Blut verdickt. Schwindel, Übelkeit und ein unregelmäßiger, erhöhter Puls sind die Folgen. Hinzu kommen Bewusstseinsstörungen und Krampfanfälle, in ganz schlimmen Fällen kann es zur Schwellung des Gehirns kommen. Tritt keine Besserung ein, verlieren sie das Bewusstsein. Und wenn das niemand bemerkt, wachen sie vielleicht nie wieder auf. Solch ein Todeskampf im Kindersitz kann 30 Minuten andauern.
Das Fatale: Selbst bei frühlingshaften 20 Grad beträgt die Temperatur im Auto nach 30 Minuten hochsommerliche 36 Grad. Viel schlimmer sieht es bei 30 Grad und mehr aus: Bei 34 Grad Außentemperatur erhitzt sich das Fahrzeuginnere nach 30 Minuten auf 50 Grad! Erste Hilfe reicht dann schon nicht mehr aus. Der Notarzt muss her.
Mit der Einführung des Airbags auch auf der Beifahrerseite mussten die meisten Kinder in ihren Kindersitzen in der zweiten Sitzreihe Platz nehmen – ein tödlicher Tausch. Denn "das Vergessen eines Kindes im Auto kann jedem passieren", sagt Gene Brewer, Psychologe der Arizona State University. "Oft sind die Eltern einfach abgelenkt. Dabei gibt es keinen Unterschied zwischen Alter, Klasse oder Persönlichkeit. Funktional macht unser Gehirn keinen großen Unterschied zwischen dem Vergessen des Schlüssels und dem Vergessen des eigenen Kindes im Auto", so Brewer.
Vergessen ist allzu menschlich, kann aber tragischerweise den qualvollen Hitzetod für das Kind bedeuten. Für Eltern kleiner Kinder heißt das: Bei warmen Außentemperaturen aufmerksam bleiben, im Kopf haben, dass für die Kleinsten der Aufenthalt gerade im abgestellten Auto tödlich sein kann. Kleine Zettel oder trainierte Rituale, wie nach jeder Fahrt auch den Fond checken, können im Zweifel helfen.
Noch besser wäre freilich: Neben dem Warnschild, das auf die Gefahr für Kinder in Rückhaltesystemen auf dem Beifahrersitz durch den Airbag hinweist, gleich einen zweiten Aufkleber direkt vom Hersteller anzubringen: "Heiß heute? Vergessen Sie Ihr Kind nicht im Auto!".